'Without paint, there would be no suffering' - A little Bob Ross fanfiction I just got published
Because Life is too Short to Read Bullshit
What a happy little coincidence: To commemorate the great Bob Ross, who died on this day 29 years ago, have some fanfiction. My short story 'Without paint, there would be no suffering' was published today over at "A Thin Slice of Anxiety"
A little cut-up project I did to overcome writer's block
I had a little writer's block in the previous weeks but at the same time I had the urge to do something artistic. So, I cut up some texts and reassembled them into something new, something absurd, something weird. Usually I feel bad when I don't write, so writer's block in my case is often a vicious circle (can't write -> feel bad -> can't write etc.) but doing this cut-up thing really helped filling this non-writing period and overcoming the block. And it's fun.
For those interested what came out of it, you can find one of the things published in this lit mag: https://donotsubmit.net/the-midsummer-merchant-king-romeo-richard-of-venice-and-the-tempest-hamlet-nights-juliet-lear-a-dream-ii-by-felix-anker/
"X marks the void" - a little weird story I just got published
I’m dead at the moment. Haven’t been for too long but I’m already bored. There’s nothing here in my void except a pair of weathered sandals the previous tenant left and a typewriter. I used to do pull-ups on the sandal’s straps for a few weeks, so now I’m able to type. X There is no return from this...

Question about mixing tenses


So, I'm currentlich reading Kobo Abe's "Kangaroo Notebook" and I'm a bit confused about his use of tense shifts.
In this scene in the picture, he starts with "I stepped" then "I noticed" but then he proceeds in present tense "It looks", "He doesn't", "He's", and in the end he switches back to past tense "the boy was having", "he wasn't", etc.
So, I'm wondering what's the function of this. This all happens at the same time, so it's no backflash.
Could it be that the present tense sentences are internal thoughts at the moment, while the past sentences are descriptions?
Thank you!
"The Forester" - A short story about dying trees I just got published
I wrote a lot of short stories last month, submitted them, got a lot of rejections, but this one found a home in one of my favourite indie mags. So, don't let rejections get you down, just continue submitting
I still got that stone
Write drunk, edit drunk: Some surreal thing I just got published
Not the best, but still something I submitted without expecting publication
Danke, hab's oben auch mal hinzugefügt
Kurzgeschichte: Mann über Bord, Karl! - Teil 2
So, hier der zweite Teil der Geschichte von letzter Woche (https://feddit.de/post/3481442). Danke an alle, die es lesen!
Vielleicht kennt ihr das, dass ihr etwas tut und noch währenddessen merkt, dass es ein Fehler war. So erging es mir beim Fall aus Willis Boot. Da fiel ich also, sehr überzeugend, in den See, als ich sah, dass das andere Boot bereits näher gekommen war. Natürlich hatte ich das nicht gesehen, da ich ihnen mit dem Rücken entgegen saß. Hätte ich es gesehen, dann wäre ich nicht ins Wasser gesprungen wie der letzte Einfaltspinsel.
Auf dem Boot war nämlich meine Emma, entzückend wie immer, mit ihrem Bruder Ferdinand. Und das war der Moment, in dem mir mein Fehler ins Gesicht sprang wie eine aufgewühlte Katze. Aber es war zu spät. Ich war nass, Charlotte rief wie ein wildgewordener Baum und Willi beobachtete etwas, das einer Wolke nicht nur unähnlich, sondern sogar sehr ähnlich sah. August war mittlerweile wie geplant hinterhergesprungen, um mich zu retten. Auf dem anderen Boot lachte Emma. Und natürlich war da noch Ferdinand, der froschgleiche Charakter, der wahrscheinlich vom Schwanken des Bootes einen ganz grünen Kopf bekommen hatte und jetzt noch amphibischer aussah als sonst schon. Der Kerl lebte fälschlicherweise im Glauben, schon einmal mein Leben gerettet zu haben. Wahrscheinlich dachte er sich, dass aller guten Dinge zwei waren, denn bald schon zerrte nicht nur August an mir, sondern auch Ferdinand, der ebenfalls ins Wasser gesprungen war. Das war mal wieder typisch. Ein so gut durchdachter Plan musste natürlich schief gehen. Ich schwamm selbst zurück und zog mich ins Boot, wo schon eine besorgte Cousine auf mich wartete. August warf mir einen Blick zu, den ich selbstverständlich deuten konnte. Er sagte: „Lass die Finger von der Cousine.“ Dabei war es die Cousine, die mich mit ihren Fingern bearbeitete.
Einen vollkommen anderen Blick warf der Frosch Ferdinand in Richtung Himmel. Einen Blick, den man von einer Kuh im Wasser erwartet hätte, aber sicherlich nicht von einem Frosch. Ferdinands Blick sagte nämlich: „Ich ertrinke!“
Da war sie. Meine Chance, Emma zu zeigen, dass ich der wahre Heros dieses Tages war. Ich war bereit, zurück ins Nass zu springen und den armen Frosch ins Trockene zu bringen. Hätte mich die Cousine nicht mit ihren stämmigen Armen fest im Griff gehabt. Ich versuchte, mich ihr zu entreißen, aber das Ganze war eine Treibsandsituation. Aber jemand wie ich gibt nicht auf und so hatte ich die Partie schon bald gewonnen. Nun war es so, dass ich so beschäftigt war, mich loszureißen. Daher ging es vollkommen an mir vorbei, dass August, dieser Armleuchter, den ertrinkenden Frosch bereits ins benachbarte Boot gerettet hatte, wo sich meine Emma um den armen Kerl kümmerte. Und wieder flogen Blicke, dieser Tag war eine einzige Blickwerferei. Emmas Blick war es dieses Mal, den sie zu August fliegen ließ und der ihm sagen sollte: „Oh, du mein Heros!“ War es nicht der Wille der zählte? Und niemand wollte Ferdinand so sehr retten wie ich.
Besagter Retter war mittlerweile wieder auf unserem Boot und triefte nur so vor Seewasser und Eigenlob.
„Das war tadellos!“, sagte er, stolz wie nie zuvor und ich überlegte, ihn trotzdem zu tadeln. Ich sprang ihm jedoch bei, um unseren Plan doch noch zu erfüllen.
„Sehr tadellos“, sagte ich zustimmend und legte superlativisch nach, „am tadellosesten, findest du nicht auch, Charlotte?!“
„Ach, Karlchen, ich bin eigentlich nur froh, dass dir nichts zugestoßen ist“, antwortete sie und Scham brach wie eine Welle über meinen sowieso schon nassen Körper. Karlchen. Das war nicht auszuhalten.
Ferdinands Boot hatte mittlerweile das Land erreicht und ich dachte mir, dass das ja nicht so schlimm für ihn gewesen sein kann, wenn er es geschafft hatte, schneller an Land zu rudern als wir. Emma und Ferdinand empfingen uns am Steg.
„August, du hast mein Leben gerettet, wie ich einst Karl. Ich werde dir für immer zu tiefstem Dank verpflichtet sein“, sagte Ferdinand und warf mir einen Blick zu, der voller ungesagter Worte war. Aber ich hatte genug von diesen unausgesprochenen Blicken und breitete mich zum Trocknen auf der Wiese aus.
„Karl“, sagte August, der plötzlich neben mir erschien wie einer dieser Geister in alten Gedichten, „meinst du das hat geklappt?“
„August, mein Guter, du hast doch gesehen, wie der Baum mich umschlungen hatte.“
„Welcher Baum?“, fragte August und ich führte das Gespräch fort, ohne diese Frage zu beantworten.
„August, das ist ganz gewaltig schief gelaufen, das ist ein absolutes Brimborium!“
„Ein was?“, fragte August und wieder bekam er keine Antwort.
„Hör zu, wir müssen einen Weg aus diesem Schlamassel finden.“
„Ah, ist das, was Brimborium bedeutet? Schlamassel? Wo findest du nur immer dieses delicate Vokabular?“, fragte August. Jetzt war aber wirklich keine Zeit, über Brimborien und Schlamassel zu sinnieren.
„Wie bringen wir die Cousine dazu, von mir abzulassen und dich in den Griff zu nehmen und, noch wesentlicher, wie bekommen wir Emma dazu, dass sie ihr Interesse an dir wieder verliert?“
„Karl, du Camuff, hab mal keinen Bammel“, begann August und jetzt wollte ich ihn wirklich tadeln. Wie kam er darauf, mir ein delicates Vokabular vorzuwerfen, wenn er mir Sätze wie diesen präsentierte? Er fuhr fort: „Emma ist nichts für mich. Die is‘ viel zu klein. Ich brauch ne richtige Frau. Vor allem wär ich dann mit einem Dusel wie Ferdi verwandt.“ Über den zweiten Punkt hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht, aber das war ein berechtigter Einwurf.
„Und nun? Hast du noch so einen tadellosen Plan?“, fragte ich.
„Natürlich, Karl. Heut Abend beim Willi, da bring ich den neuen Pflaumenlikör vom Opa. Ich sag’s dir, das hilft immer.“
„Hat das jemals geholfen?“, wollte ich wissen.
„Erinnerst du dich an die Elli vom Gießler? Mit der hab ich doch nen Likör getrunken und danach hat sie mir einen Blick zugeworfen, der eindeutig gesagt hat …“
Ich unterbrach ihn, ich hatte noch immer genug von sprechenden Blicken und verweigerte auch jede weitere Erklärung. Aber es war der einzige Plan, den wir momentan parat hatten und hatte wohl noch zu viel Wasser in der Birne, da mir auch kein besserer einfiel. Hauptsache die Cousine würde so schnell wie möglich bei August Wurzeln schlagen. Zu viert machten wir uns auf den Weg zurück ins Dorf. Emma war mit ihrem verfroschten Bruder zurückgeblieben, da dieser sich spontan entschieden hatte, wehleidig zu werden. Und so gern ich Emma auch mochte, einen Ferdinand in solch einem Zustand konnte ich jetzt auch nicht auf mich nehmen.
„Hört mal, ein Specht“, sagte Willi und ich hatte erst jetzt wieder wahrgenommen, dass er auch dabei war. Armer Kerl, ständig so vertieft in die Vogelwelt. Wir blieben stehen und sperrten die Lauscher auf. Nach einer Weile klopfte es. Ein sehr unspektakulärer Vogel war das. Und vor allem, dachte ich mir, müsste das schlimm sein für die anderen Vögel, die schlafen wollen und wurde dann plötzlich selbst wieder müde. Lange hatte ich jedoch nicht Zeit, um vom Schlafen zu träumen, denn schon bald spürte ich etwas in meinem Haar. Ich dachte zuerst an einen frechen Achtbeiner, der dort sein Unwesen trieb, aber es war die Cousine, die versuchte, irgendeinen grünen Stängel mit zugehöriger Blüte in meinen Kopf zu stecken.
„Das steht dir bestimmt, Karlchen“, sagte das Cousinchen Charlottchen und präsentierte mir freudig einen Strauß voller Blumen, die sie entwurzelt hatte. Blumen hatten meiner Meinung nach natürlich ihre Raison d´être, aber es war nicht mein Kopf, an dem sie êtren sollten. Ein Garten, wo ich sie je nach Bedarf betrachten oder ignorieren konnte, schien mir ein geeigneterer.
Zurück im Dorf verabschiedeten wir uns. Die Cousine ein bisschen zu fest für meinen Geschmack. Zuhause angekommen setzte ich mich auf die Bank vor dem Haus, zündete eine Pfeife an und würdigte die Blumen, die in meinem Garten vor sich hin êtreten keines Blickes. Es war schon spät, aber trotzdem noch genug Mittag für den gleichnamigen Schlaf. Ich hängte meine nassen Klamotten an den Apfelbaum, bat Herrn Müller, darauf Acht zu geben und ging ins Bett.
Als ich später am Abend bei Willi ankam, schwebten bereits Augusts Likörgeschichten durchs offene Fenster und mir gingen zwei Erklärungen durch den Kopf. Entweder hatte ich länger geschlafen, als gedacht oder August meinte es tatsächlich ernst mit der Cousine. Normalerweise war er der letzte der in unserer Runde erschien. Momentan war er dabei, von seinen Abenteuern in Berlin zu erzählen. Vom schillernden Nachtleben und Erläuterungen zum korrekten Trinken von Absinth. Ich kannte diese Geschichte schon und zündete mir im Garten vor dem Haus noch eine Pfeife an. Augusts Berlin-Gefasel gesellte sich zu mir.
„Berlin ist so kosmopolitisch, das ist ne wirklich delicate Metropole“, sagte er, „Warst du schonmal in Berlin, Charlotte? Meine Tante wohnt dort und ich kann dich gerne mitnehmen und dir zeigen, wie fabelhaft das Großstadtleben ist.“ Dass seine Tante in Wahrheit irgendwo in der Nähe von Berlin, aber nicht in Berlin wohnte, das verschwieg er selbstverständlich.
„Oh, ich liebe Berlin, es ist so eine wundervolle Stadt“, sagte die Cousine, „Ich glaube, dass jeder einmal im Leben in Berlin gewesen sein muss. Ich würde es nicht ertragen, wenn jemand miserabel über diese wunderbare Stadt sprechen würde. Vielleicht fährt Karlchen mal mit mir hin.“
„Vergiss doch mal diesen Karl. Der hat nichts übrig für Berlin, der ist kein bisschen kosmopolitisch. Willst du noch einen Likör?“
„Karl, du Genius“, sagte ich leise zu mir. Wenn mein spontaner Plan aufginge, dann wär die Sache ganz schnell erledigt.
Es war Zeit für meinen Auftritt. Der zweite Akt, der hoffentlich nicht so ins Wasser fallen würde, wie der erste. Ich klopfte an Willis Türe und unser Spechtfreund reagierte flott.
„Grüß dich, Karl“, sagte er mit Blick und Mund und ich trat ein.
„Hallo, Karlchen“, sagte Charlotte und zog den letzten leeren Stuhl neben sich. Ich setzte mich und bevor ich mit meiner Hand das Glas greifen konnte, das August für mich mit Likör gefüllt hatte, schnappte die Cousine schon meine Hand.
„Schau mal, Karl“, sagte sie und zeigte auf den Blumenstrauß, den jemand behutsam in einen Weinflasche gequetscht hatte, „die sind für dich.“
„Ah“, sagte ich und beschloss, dass es Zeit für meinen Plan war, „was hab ich verpasst? Was ist das Leitmotiv des Abends?“
„Berlin“, sagte August und er schien einen ähnlichen Plan zu haben wie ich, „sag Karl, was denkst du über Berlin?“ Akt Nummer Zwei hatte begonnen.
„Berlin ist ein stockmiserabler, scheußlicher Ort, ich will gar sagen katastrophal! Vor nicht allzu langer Zeit stand ich knietief im Schweinemist und würde einen solchen Ort jederzeit Berlin vorziehen“, erklärte ich und die cousinischen Hände lösten sich. Ich sprang auf und wurde lauter.
„Man muss entweder verrückt sein oder ein ganz mieser Halunke, um sich dort wohlzufühlen!“, rief ich und beendete das Ganze mit einem Grollen, das selbst den größten Donner wie eine schnurrende Katze aussehen ließ.
Und das, mein lieber August, war, wofür das Wort tadellos erfunden wurde. Meine Hände waren cousinenfrei und ich griff nach dem Glas mit Augusts Likör. Der konnte sich glücklich schätzen, dass mein Plan funktioniert hatte. Mit diesem scheußlichen Zeug hätte er den Baum höchstens vergiftet.
„Ach, Karl“, schluchzte die Cousine und sah mich mit Ausgußaugen an, „ich dachte, du wärst etwas ganz Besonderes, aber ich möchte nicht mit jemandem mein Leben verbringen, der so scheußlich spricht.“
Ja, man könnte mir jetzt vorwerfen, ich wäre etwas zu gemein gewesen, aber wenn ich einmal in einer Rolle bin, dann bin ich nur schwer zu stoppen. August nahm die Cousine tröstend in den Arm und versuchte mir zuzuzwinkern, aber das konnte er noch nie, deshalb blinzelte er nur ein paar Mal, bevor er aufgab. Ich würde hier nicht mehr gebraucht werden, also verabschiedete ich mich. Willi hatte von dem allem nicht viel mitbekommen, da er seine Nase in einem Buch vergraben hatte, vermutlich irgendwas mit Vögeln.
Bevor ich Willis Bude verließ, extrahierte ich noch den Blumenstrauß aus der Weinflasche. Den hatte ich mir jetzt verdient.
„Seit wann bist du denn ein Blumenfreund?“, fragte Willi, als ich schon an der Türe war. Der Kerl bekam doch mehr mit, als ich dachte.
„Ich statte Ferdi noch einen Krankenbesuch ab, da kommt man nicht ohne Blumen.“
„Aber Karl, ich glaub du hast da was verwechselt. Ferdi muss von Blumen immer nießen. Ich hab aber gehört, dass Emma Blumen ganz fabelhaft findet.“
Genau das hatte ich auch gehört.
Kurzgeschichte: Mann über Bord, Karl! - Teil 1
Heute eine etwas längere Kurzgeschichte, deshalb Teil 1, der Rest dann nächste Woche, hegdl und einen schönen Samstag
Mann über Bord, Karl!
Die Symptome waren eindeutig. Im Baum schrien die Vögel, vor dem Fenster bienten die Bienen und die Sonne stürzte sich auf meine Zehen wie ein hungriger Schwan. Ich war zwar kein Doktor, aber meine Diagnose war klar: Es musste Morgen sein. Ich beschloss, das naturalistische Potpourri zu ignorieren und wendete mich wieder meinem erholsamen Samstagmorgenschlaf zu. Lange konnte ich die wohlverdiente Schlummerei nicht genießen, denn gerade als ich tief in einen vielschichtigen Traum fiel, spürte ich einen steinigen Schmerz an meinem Fuß, gefolgt von einem zweiten am Kopf. Wer immer hier mit Kieselsteinen warf, war darin wohlgeübt. Ich war allerdings kein Mensch, der Gefallen an Gewalt fand und so warf ich statt Steinen einen wohlüberlegten Satz zurück zum Absender.
„Was hat dieses Brimborium zu bedeuten?“ Dieses delicate Wort hatte ich vor nicht allzu langer Zeit in meinen Wortschatz aufgenommen und war mir sicher, dass ich es dieses Mal korrekt verwendet hatte.
„Karl!“, rief eine Stimme durchs Fenster. Ich spielte den Ball zurück.
„Wilhelm!“
„Willi“, korrigierte er mich, da sein Vater und sein Großvater ebenfalls Wilhelm hießen und es hier zu keiner Verwechslung kommen sollte.
„Willi“, rief ich korrekt zurück.
„Karl“, rief Willi wieder. So kamen wir nicht weiter. Ich kämpfte mich aus der behütenden Bettdecke und hing meine Birne aus dem Fenster.
Draußen waren die Umstände, wie ich sie mir ausgemalt und in den letzten Wochen schon gesehen hatte. Bienen, Vögel, sogar Blumen und alles, was einen an einem Sommermorgen überhaupt nicht überraschte. Bis auf eine Sache: Willi, der da gut bebrillt in meinem Garten stand und anscheinend einen Baum mitgebracht hatte, der ihn um einen Kopf überragte.
„Willi, warum störest du meines Geistes Schlaf an diesem neugeborenen Tage?“
„Morgen, Karl“, antwortete er weniger wortreich, „hast du wieder versucht, dich intellektuell zu betätigen?“
Das war richtig. Ich hatte in den letzten Wochen sehr viel Kopfarbeit geleistet und mich durch die Bücher der großen Geister unserer Vorzeit gekämpft. Schiller, Goethe, das ganze Brimborium. Bisher war es mir aber nicht gelungen, meinen neuerlangten, wohlfeinen Verstand an den einfachen Mann zu bringen. Ich beschloss, auf eine simplere Lingu zuzugreifen.
„Du alter Dusel, was machst du hier so früh und warum schleppst du mir einen Baum an?“
„Es ist schon nach elf“, sagte Willi und änderte damit meine Einstellung, wann der Morgen aufzuhören hatte, nicht, „und das ist meine Cousine Charlotte. Ich hab dir doch erzählt, dass sie mich übers Wochenende besuchen kommt.“
„Guten Morgen“, sagte der Baum.
Ihr müsst wissen, ich bin kein großer Mode-Kenner, aber wenn eine Cousine entscheidet einen grünen Hut und ein braunes Kleid zu tragen, und das Ganze noch bevor ich überhaupt vollständig erwacht bin, dann ist eine Ähnlichkeit mit einem Baum nicht von der Hand zu weisen.
„Ah“, antwortete ich und dachte mir, dass genau jetzt der allerbeste Zeitpunkt war, mich vorzustellen, auch wenn Willi das schon übernommen hatte.
„Karl“, bot ich der bäumigen Cousine an und dachte mir, wie merkwürdig mein Name klang, wenn ich ihn selbst sagte.
„Charlotte“, gab die Cousine zurück und dachte sich bestimmt etwas anderes. Dieses Hin- und Herwerfen von Namen brachte uns auch nicht näher an meine ursprüngliche Frage, also ging ich der Sache auf den Grund. Oder dem Pudel auf den Kern wie der alte Goethe gesagt hätte.
„Sag, Willi, was verschafft mir die Ehre eures so frühen Besuchs?“
„Charlotte wollte dich gerne kennenlernen. Ich habe ihr viel von dir erzählt“, sagte Willi. Das war bizarr. Normalerweise hatten die Frauen vom Kennenlernen schon genug, wenn man ihnen einen ausführlichen Bericht über mich erstattete, aber so wie ich Willi kenne, hatte er ihr nur die guten Dinge berichtet.
„Sehr erfreut …“, sagte ich.
„Mich freut es auch sehr“, sagte die Cousine und errötete apfelbäumig.
„Karl, wir wollen weiter zu August und schauen, ob er ansprechbar ist. Kommst du mit?“, fragte Willi, aber da auch ich kaum ansprechbar war, lehnte ich dankend ab.
„Wir fahren heute Nachmittag mit dem Boot raus“, fügte die Cousine noch hinzu, „ich fänd’s fabelhaft, wenn du mitkommen würdest.“
Ich gab zu wissen, dass ich mich melden würde, wenn ich endgültig wach wäre, verabschiedete die beiden und schaute zu, wie Willi beim Abgang seiner Cousine meinen Apfelbaum zeigte. Vielleicht eine weitere Verwandte.
Da lag ich also wieder, zurück im Bett, aber natürlich war nicht mehr an Einschlafen zu denken, daher beschloss ich, dem Tag eine Chance zu geben. Ich griff ein Stück Klamotte vom Boden, steckte den Arm in den Ärmel, nahm den Arm wieder aus dem Ärmel, der sich bei näherer Inspektion als Hosenbein entpuppt hatte und steckte das passende Bein hindurch. Bald schon hatte ich das Wunder der Ankleidung vollzogen und bemühte ich mich in den Garten in Richtung des Hühnerstalls zur morgendlichen Eierernte. Ein Wunderwerk der Natur diese Biester. Jeden Tag ein Ei, sogar an heiligen Sonntagen. Auf dem Weg zum Stall begegnete ich im Garten dem alten Müller.
„Grüß dich, Herr Müller“, sagte ich und hatte ihn wohl erschreckt, da er mit offenem Mund dastand, als hätte ich ihn bei einer Schandtat erwischt.
„Miau“, grüßte Herr Müller mürrisch, aber anständig zurück und verschwand dann rasend auf dem Apfelbaum. Frisch ausgestattet mit gerade gelegten Eiern erreichte ich das Haus, als eine bekannte Stimme durch mein offenes Küchenfenster nach draußen drang.
„Morgen, Karl!“, rief August und wie man aus der Küche ruft, so ruft’s zurück.
„August, was führet dich zu meines Hauses in solch früher Stunde?“
„Lass das Goethe-Gebrabbel und komm rein. Ich hab großartige Neuigkeiten.“
Ich folgte seiner Anweisung und ging zurück in die Küche, wo August sich bereits an meinem Brot bediente.
„Also, was gibt es Großartiges?“, fragte ich mit tatsächlicher Neugier, da etwas ganz außerordentlich Extraordinäres passiert sein musste, wenn August aus freien Stücken so früh am Morgen schon sein Haus verlassen hatte.
„Ich bin verliebt, Karl“, rief August, sprang vom Stuhl auf und breitete die Arme aus wie ein Vogel, der erklärte, was es mit diesen Flügeln auf sich hatte.
„Ah“, gab ich zurück, aber wollte dann doch Näheres wissen, „und wer ist die Unglückliche?“
„Die Glückliche“, korrigierte mich August, als ob ich einen Fehler gemacht hätte, „ist Willis wunderbare Cousine Charlotte.“
August und der Baum, wer hätte das erwartet? Wahrscheinlich jeder, der August kannte und wusste, dass er sich oft in Cousinen verliebte, auch in die eigenen, wenn sie nur entfernt genug verwandt waren. Trotzdem schien mir eine so große Cousine doch ein wenig zu überragend und ich äußerte August gegenüber meine Bedenken.
„Ach, Karl, Liebe kennt keine Grenzen“, sagte August.
„Nach oben schon“, gab ich clever zurück, aber das war August wohl zu hoch. Ich hakte nach: „Was denkt denn die glückliche Cousine über die ganze Chose?“
„Das ist das Problem“, sagte August, „sie hat nämlich ein Auge auf dich geworfen.“
„Den ganzen Weg von da oben runter? Aber da mach dir mal keine Gedanken, ich hab keinerlei Interesse an Willis Cousine.“
„Karl, hast du sie dir überhaupt genau angeschaut? Ein Prachtstück von einer Frau! Ich muss sie einfach haben“, erklärte August wie ein enthusiastischer Baumschullehrer.
„So teile er mir mit, wie ich ihm zu Hülfe kommen kann“, bat ich ihn höchstintellektuell.
„Gut, ich habe einen Plan. Der erste Teil besteht daraus, dass du aufhörst zu sprechen wie ein Geschichtsbuch.“
„Abgemacht“, gab ich zurück und übte mich in Stille.
„Und dann kommst du nachher mit zu Willis Ausflug auf dem Boot.“
Wenn man jemanden so lange kannte, wie ich den August, dann wusste man schon, was er sagen wollte, bevor er seine Gedanken in Worte verpackte.
„Lass mich raten. Ich falle ins Wasser und du rettest mich. Dann denkt Charlotte, du bist ein großer Heros und ihr werdet glücklich, bis die nächste schöne Cousine euch scheidet?“
Natürlich lag ich mit meiner Annahme vollkommen richtig. Aber mit dieser Aktion konnte ich zwei Klappen auf einmal schlagen. August würde seine Liebe des Monats erobern und vor allem würde der Baum das Interesse an mir verlieren. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein großer Frauenfreund bin, aber für mich gab es damals nur die eine. Emma. Die ähnelte keinem Baum, nicht mal einem Strauch, sondern einem wundervollen frisch beblühten Blumenfeld, in dem man fröhlich umhertollen wollte. August bedankte sich und wir verabschiedeten uns bis zum Nachmittag.
Nachdem ich meine brotlosen Eier verzehrt hatte, setzte ich mich auf die alte Bank vor dem Haus und stopfte meine Pfeife. Ich grüßte Herrn Müller, der oben auf dem Apfelbaum saß und mich nicht beachtete, zündete meine Pfeife an und ging den Plan im Kopf durch. So schwierig würde das nicht sein, das mit dem Ertrinken. Also solange ich nicht wirklich ertrank, aber ich war ein fabulöser Schwimmer und hätte es mit jedem noch so tollkühnen Fisch oder dem waghalsigsten Schwan aufnehmen können. Meine Erfahrung hatte mich aber gelehrt, dass man Schwänen zu jeder Zeit besser fernbleiben sollte.
Die Sonne lachte hämisch vom Himmel, als ob sie bevorstehendes Unheil ankündigen würde. Unwissend lachte ich ihr entgegen und machte mich auf den Weg zum See. Ich ließ Obergrubenbach hinter mir, ging weiter Richtung Osten, vorbei an Gießlers Hof und den Kühen, die ich selbstverständlich grüßte, weiter bis zum Schweinehof vom alten Otto und bog dann dort in den Wald. Nach einigen Minuten die ich sinnierend auf dem Waldweg verbracht hatte, entdeckte ich einen Baum. Das war in einem Wald unter normalen Umständen auch kein unüblicher Anblick. Bei diesem Exemplar handelte es sich allerdings um die Cousine, die dort vorne neben Willi den Weg entlang wandelte.
„Wilhelm“, rief ich ihm gegen den Rücken.
„Willi!“, echote er mir gegen den Bauch. Athletisch wie ich war, hatte ich schnell aufgeholt und wir tauschten weniger wichtige Freundlichkeiten aus, bevor ich das elementare Thema aufgriff.
„Ist das nicht schwierig, Boot zu fahren ohne Boot?“, fragte ich mit einem Blick auf das nichtexistente Boot, das die beiden mit sich trugen.
„Mein Onkel Wilhelm war gestern schon auf dem See als er Charlotte gebracht hat“, sagte Willi. Und fügte den Grund der Seefahrt hinzu: „Angeln.“ Was für ein miserables Erlebnis das für den armen Onkel gewesen sein musste. Wir sind hier im Dorf gründlich mit unseren Chronologien und hätte er gewusst, dass der letzte Fisch in Obergrubenbach im Jahre 1634 gefangen wurde, hätte er seine Zeit einer ertragreicheren Tätigkeit gewidmet.
Nach einem wenigminütigen Fußmarsch lag der See vor uns, wie ich ihn kannte: fast rund und ganz nass. An den Steg hatte jemand etwas gebunden, das wohl unser Boot sein musste und es wäre ein Wunder, wenn wir nicht alle heute ertrinken würden. Das Ding ähnelte einer halben Walnussschale, die, das gebe ich zu, ein ziemlich großer Walnussbaum von sich geworfen haben musste. August war natürlich zu spät, also setzte ich mich auf den Steg, die Füße ins Wasser und versuchte meine Zehen möglichst wurmig zu bewegen, um Fische anzulocken.
„Da hatte wohl jemand denselben Gedanken wie wir“, sagte die Cousine, die still und heimlich neben mir Platz genommen hatte, und zeigte auf ein Boot auf der gegenüberliegenden Seite des Sees.
„Ah“, entgegnete ich und entschloss aus Freundlichkeit noch einen Laut davorzuhängen, „ja.“
„Ich find’s schön, dass du mitkommst, Karl“, sagte Charlotte und ich flüchtete mich in ein wetterliches Leitmotiv.
„Warm genug ist’s ja“, sagte ich und hatte es beinahe geschafft, einen Fisch zu berühren. Bevor die Cousine mich berühren konnte, rettete mich August mit seiner Ankunft. Gemächlich, als hätten wir alle Zeit der Welt, schlich er aus dem Wald, auf dem Kopf einen Hut, der wohl schick sein sollte und grüßte uns auf eine ganz und gar brimborische Weise.
„Ahoi!“, rief er.
„Ah“, gab ich zurück und „was?“
„Ahoi“, erklärte August, „ist was die echten Kapitäne auf dem Meer sagen. Ich kenn mich da aus, mein Großvater war auf der weiten See.“
Ob die erste Sache stimmte, das wusste ich nicht. Das maritime Milieu war nicht mein Steckenpferd. Aber dass Augusts Großvater des Schwimmens nicht mächtig war, das war im ganzen Grubenbachkreis bekannt. Der war höchstens mal an einem See aber sicher nicht auf oder in einem.
„Wollen wir?“, fragte August, der mittlerweile das Ruder übernommen hatte, bugsierte den Baum ins Boot und kommentierte das Ganze mit einem „Damen zuerst.“ Das war eine sehr wacklige Angelegenheit und wahrscheinlich war ich es, der später die anderen vor dem Ertrinken retten müsste. Ich wagte mich als letzter aufs Boot und war dann doch beeindruckt, wie stabil die Sache von innen aussah. Absolut delicat, ich sag's euch! Schnell hatten wir alle Sitzangelegenheiten geklärt. Willi erklärte uns, wie man die großen Kochlöffel zu bewegen hatte, damit sich auch das Boot bewegte und los ging unsere Fahrt. Ich saß am vorderen Ende und sah August beim Rudern zu. Hinter ihm saß die Cousine und schaute mir dabei zu, wie ich August zuschaute. Ein faszinierender Kreislauf der Beobachtungen. Nur Willi, der hinter Charlotte gequetscht war, beobachtete irgendetwas anderes. Natur wahrscheinlich oder Wolken.
August der Starke rührte die großen Hölzer wie vom Hund gebissen und hatte uns in Windeseile in die Mitte des Sees transportiert. Immer wieder stieß er seinen viel zu großen Zeh gegen mein Bein, um mir mitzuteilen, dass es jetzt gleich losgehen würde.
„Hier ist doch ein guter Platz für eine Pause, meint ihr nicht auch?“, rief August viel zu auffällig, aber die Cousine schien keinen Verdacht geschöpft zu haben. Es ging also los. Vorhang auf, Akt eins des Laientheaters.
„Ja, August“, rief ich zurück, „das ist ein wundervoller Platz. Vielleicht werde ich Ausschau halten nach einem Fisch.“ Das wäre nichts gewesen für mich, so ein Schauspielerleben, aber ich gab mein Bestes für August. Langsam stand ich auf und schwankte.
„Oh nein, ich falle!“, rief ich, ganz ohne Enthusiasmus und fiel vom Boot.
Vielleicht kennt ihr das, dass ihr etwas tut und noch währenddessen merkt, dass es ein Fehler war. So erging es mir beim Fall aus Willis Boot. Da fiel ich also, sehr überzeugend, in den See, als ich sah, dass das andere Boot bereits näher gekommen war. Natürlich hatte ich das nicht gesehen, da ich ihnen mit dem Rücken entgegen saß. Hätte ich es gesehen, dann wäre ich nicht ins Wasser gesprungen wie der letzte Einfaltspinsel.
'I got some weird fiction published' or: 'Don't let rejections stop you'
This post might sound like an advertisement (which it partly is, of course, you don't try to get published if you don't want people to read your stuff) but I want to use this post to encourage other new writers.
It took a long time to find a home for this story and I thought about giving up on it when rejections started piling up in my inbox. I'm sure there are others who feel the same from time to time, but please continue to submit.
For those interested, here is the story: https://stateofmatter.in/fiction/milk/
Kurzgeschichte: Saperavi 2008
Heute ein kurzer Text zum russischen Angriff auf Georgien 2008.
2020
Suliko erhebt zuerst sich (langsam) und dann sein Glas. Suliko hält eine Rede auf die Gäste und trinkt. Suliko wird heute dreiundachtzig. Er wird aber nur auf dem Papier alt, sagt Suliko, nicht im Kopf. Ausgerechnet heute aber auch im Rücken. Deshalb soll Maia neuen Wein aus dem Keller holen. Maia will nicht in den Keller. Ich muss sowieso aufstehen, soll ich den Wein mitbringen? Maia nickt. Ich verlasse die Feiergesellschaft, Obacht, Giorgi, Bauch einziehen, nein, Tatia, ich gehe noch nicht, ja, natürlich esse ich noch etwas. Hinter Sulikos Haus schläft der Kaukasus: dunkeldunkle Berge in helldunkler Umgebung, als hätte jemand gedankenverloren mit dem Daumen den Staub von einer Pflaume gewischt. Sulikos Keller ist angenehm kühl. Es riecht nach altem Kellerstaub und jungem Wein, der in großen Tongefäßen unter Grund erwachsen wird. Sulikos Wein im Regal: 2016, 2017, 2019. 2018 war zu gut für schlechte Zeiten. Ich darf entscheiden, greife nach 2016, gedankenverlorenes Wischen über die Flasche offenbart den roten Wein unter grauer Staubschicht.
2008
Maia sitzt im Garten und schließt Freundschaft mit einem Käfer. Maias Käfer schimmert grün auf ihrem kleinen Daumen, wenn sie ihre Hand in der heißen Augustsonne dreht. Zaghaft zupft der Wind an den Blättern des großen Maulbeerbaumes. Maias Mutter ruft, rennt, greift das Kind, erschreckt den Käfer. Maias Käfer verschwindet im Maulbeerbaum. Maia hört: Luftalarm. Sie weiß nicht, was Luftalarm ist. Schnell in den Keller, sagt die Mutter. Der Keller ist angenehm kühl. Die Explosion ist heiß in Maias Ohren, der Trümmerstaub in ihren Augen. Mama, wo bist du? Maia riecht: den Wein von 2006 aus zerborstenen Flaschen, sieht: das Blut aus der zerborstenen Mutter. Mama, was hast du? Mama, tut das weh? Die Mutter antwortet nicht. Maia weint. Tränen offenbaren gedankenverloren die rote Haut unter der Staubschicht.
2020
Hier dein Wein Suliko, auf deine Gesundheit. Der Wein schmeckt bitter, wenn man selbst bitter ist, sagt Suliko immer. Suliko schenkt ein und erhebt sich (langsam, noch immer der Rücken). Wir trinken auf den heutigen Tag, sagt Suliko, und darauf, dass wir Vergangenes hinter uns lassen. Sulikos Wein schmeckt süß. Maias Wein schmeckt bitter. Wie schmeckt mein Wein?
Kurzgeschichte: Augen auf, Herr Birnenbacher!
Nachdem das mit der Science-Fiction letzte Woche eher nicht so gut ankam, gibt es heute wieder etwas humorvolleres als Vorbereitung auf den bevorstehenden Montag.
Augen auf, Herr Birnenbacher!
Berthold Birnenbacher war ein geborener Kämpfer. Nicht dass er jemals gewonnen hätte, aber er hatte den Ring des Lebens so oft schon bestiegen, dass sich eine Stempelkarte fast gelohnt hätte. Jetzt gerade kämpfte Herr Birnenbacher (der aus Einfachheitsgründen im restlichen Verlauf der Geschichte nur noch Herr B. genannt wird) mit einem Stück Klamotte. Siegessicher steckte er seinen Arm in den Hemdärmel, zog den Arm wieder aus dem Hemdärmel, der wider Erwarten ein Hosenbein war, und führte das passende Bein hinein. Ein seufzender Luftstoß entwich dem Auswuchs in der Mitte seines Gesichtes, den man in Fachkreises Nase nennt, durchstrich seinen rhododendronbuschartigen Schnurrbart und verlor sich im Raum. Herr B. tastete sich durch seinen Kleiderschrank, bis er alles gefunden hatte, was er brauchte und hatte schon bald das Wunder der Ankleidung vollzogen.
Früher hatte Herr B. Bücher verlegt, am vergangenen Freitag jedoch seine Brille. Es folgte ein verschwommenes Wochenende, an dem er nicht nur an seine Grenzen, sondern auch sich selbst an vielen Möbeln stieß. Deshalb sollte diese neue Woche auch mit einem Besuch beim Optiker beginnen. Herr B. ahnte noch nicht, dass der Montag bereits bis an die Zähne bewaffnet vor seiner Haustüre auf ihn wartete.
Auf dem Weg zur Wohnungstüre wuchtete Herr B. seinen Zeh gegen das Sofa, das einer Couch aus Synonymitätsgründen sehr ähnlich sah und warf einen kurzen schmerzerfüllten Vokal in den Raum. Doch nicht nur sein Schrei hallte durch die Wohnung. Herr B. vernahm auch noch ein anderes Geräusch. Es war, als ob jemand zusammengerollte Kellerasseln langsam in eine Tupperdose fallen ließe. Was für eine bescheuerte Analogie – dachte sich Herr B. – für Regentropfen, die draußen auf die Fensterbank fielen. Ein zweites Mal innerhalb kurzer Zeit seufzte Herr B. und klang dabei wie ein Löwe, der sich trotz Müdigkeit erhoben hatte, nur um festzustellen, dass es sich bei der vermeintlichen Gazelle um einen Baumstamm handelte. Aber er hatte ja keine andere Wahl. Der Einstieg in seine Schuhe begann problemlos, aber erinnerte ihn im weiteren Verlauf doch wieder an seine Bindungsprobleme. Er griff zum Schirm, griff zum Schirm, ergriff den Schirm und verließ die Wohnung.
Der bereits erwähnte Montag begann seinen Angriff auf Herrn B. mit einem Fettnäpfchen vor der Haustüre, das sich bei näherem Hineintreten als Pfütze entpuppte. Schützend beschirmt, aber nass besockt bahnte sich Herr B. seinen Weg zur Bushaltestelle. Bald schon erschien ihm gelb verwischt ein krummes Etwas vor den Füßen und Herr B. erkannte korrekt, dass es sich um eine Bananenschale handelte. Diese Runde würde er gewinnen. Behutsam stieg er darüber hinweg und fühlte sich wie ein Lachs, der einem Bären geschickt entwichen war, nur um in den Tatzen eines zweiten zu landen.
In diesem Fall handelte es sich allerdings nicht um einen Bären – die sind hierzulande selten anzutreffen – sondern um einen Stand, den jemand aufgebaut hatte. Herr B. erholte sich schnell vom Zusammenstoß und wich ein Stück zurück – so wie ein Lachs das in oben erwähnter Situation nicht mehr tun konnte. Er kniff die Augen zusammen.
Brot für die Welt, las er und dachte sich, dass das sinnvoll sei, auch wenn er eigentlich Brötchen lieber hatte. Ein ganzes Brot war ja auch meist zu viel und er wollte auch nicht jeden Tag Brot essen. Aber das musste man, wenn man ein ganzes Brot gekauft hatte, weil das so schnell hart wurde. Es gab auch diese speziellen Behälter, in die man das Brot stellen konnte. Hatten die einen bestimmten Namen?
Eine Stimme, die klang wie die Stimme einer menschlichen Frau, holte Herrn B. aus seinen Brotgedanken und wünschte ihm einen guten Morgen. Dies tat sie mit folgenden Worten: »Guten Morgen!«
»Ja, hallo«, gab Herr B. zurück und wurde auf der Stelle in ein Gespräch verwickelt.
»Ich bin die Annika«, gab die Annika freundlich zurück, weil sie es so auf dem Seminar gelernt hatte und fuhr fort, »und wir stehen hier, weil wir helfen wollen. Sogar bei diesem scheußlichen Wetter. Aber das ist nichts im Gegensatz dazu, wie es anderen geht.«
»Ja, das ist natürlich …«
»Sie sind so ein schicker Herr, Sie sind bestimmt jemand, der gerne hilft, hab ich recht?«
»Also eigentlich …«
»Sehr schön. Keine Angst, wir wollen auch kein Geld von Ihnen, eine einfache Unterschrift reicht und Sie haben Ihre gute Tat für den Tag erledigt«, sagte die Annika und griff ein Klemmbrett vom Stand, das sie jetzt Herrn B. unter seinen Rhododendron hielt. Herr B. versuchte zu entziffern, was auf dem Zettel stand, aber die freundliche Dame hatte ja zugesichert, dass ihn das nichts kosten würde. Außerdem, so dachte er sich, bekam man ja für jede gute Tat etwas Gutes zurück und an einem Tag wie heute konnte er das erst recht gebrauchen.
Herr B. griff zum Stift, griff zum Stift, die Annika gab ihm den Stift und er unterschrieb. Herr B. war zwar kein richtiger Doktor, sondern nur promovierter Geisteswissenschaftler, aber seine Unterschrift stand der eines echten Mediziners in nichts nach.
»Das ist so cool von Ihnen«, sagte die Annika und studierte die Unterschrift, »Herr Brtrrrrrar …«
»Birnenbacher«, korrigierte Herr B., »Berthold Birnenbacher.« Vielleicht würde ja eines Tages jemand seinen Namen erkennen, ihm ein bisschen Anerkennung für seine wissenschaftlichen Verdienste geben, nur ein kleines »Ich habe Ihre Abhandlung zur Rolle der Zucchini in Goethes frühen, mittleren und späten Werken gelesen und kann Ihnen nur zustimmen, dass diese dort keine Rolle spielt.« Aber die Annika war mit ihrem Kopf längst in einer Kiste verschwunden und tauchte kurz darauf wieder mit einem Glas in ihrer Hand auf, um ihren Satz zu vervollständigen, »… dass Sie uns hier bei Brot für den Wels unterstützen.«
Sie drückte ihm das Glas in die Hand, in dem irgendetwas schwamm.
»Das ist der Matthias«, sagte sie glücklich, »der ist noch ganz klein.« War das ein Fisch? Herr B. versuchte zu erkennen, was da im Glas schwamm.
»Versprechen Sie mir, dass Sie gut auf ihn aufpassen.«
»Ja, aber …«
Die Annika sprang mit ihrer Stimme aus Herrn B.s Blickfeld, weiter zum nächsten Passanten, der sie wenig später mit einem freundlichen »Verpiss dich!« abweisen würde.
Herr B. starrte ins Glas, suchte dann die Annika, schaute dann zum Stand. Er könnte den Fisch einfach wieder dort abstellen. Vorsichtig tastete er sich hinüber und schob das Glas auf den Stand. Glücklicherweise hatte der Montag dort eine zweite Person platziert, die in Herrn B.s Richtung den Zeigefinger und zeitgleich drei Silben schüttelte.
»Na ah ah!« Die Stimme gehörte zu einem Mann, der, obwohl verschwommen, aufgrund seiner Größe sehr mächtig auf Herrn B. wirkte. Das könnte daran gelegen haben, dass er die Kiste mit den Fischgläsern schleppen musste.
»Sie haben unterschrieben und damit versichert, dass Sie die Pflege für einen unserer Notfälle übernehmen. Nicht wahr, Herr …«, der Mann untersuchte das Klemmbrett, »… Brterrttrar.«
»Birnenbacher. Bernhard«, korrigierte Herr B., aber erwartete von diesem Exemplar auch keine Reaktion auf seine wissenschaftlichen Werke.
Folgendes hätte der Mann mit den breiten Armen jetzt gerne gesagt: »Alles klar, Herr Birne.« Dann hätte er ihm einen festen Schlag auf die Schulter gegeben, der sagen sollte: »Geh weiter, alter Mann!«
Genau das alles tat er dann auch, allerdings mit den Worten, die er auf dem Seminar gelernt hatte.
»Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag«, sagte der namenlose Mann, so wie jemand das sagen würde, wenn er jemandem genau das Gegenteil wünschte. Herr B. hatte verstanden, dass er gegen diesen Koloss keine Chance hatte. Mit Brille vielleicht aber so nicht. Er ging langsam weiter und überlegte, was man denn überhaupt mit so einem Fisch machte. In der rechten Hand den Schirm, in der linken das Glas mit dem Fisch, wirkte jetzt er wie ein Bär. Abgesehen vom Schirm, den Bären nur zu besonderen Anlässen tragen.
Als er die Bushaltestelle erreicht hatte, versuchte er zu erkennen, wann der nächste Bus kommen würde. Unbebrillt unmöglich.
»Entschuldigung, könnten Sie …«, fragte er eine Frau oder einen Mann oder einen Bären in einem Menschenkostüm, so genau erkannte er das nicht. Sie oder er konnte nicht, da sie oder er weitergeeilt war, ohne Herrn B. zu beachten.
Wahrscheinlich eine weitere Person, die versuchte, dem Montag zu entkommen.
Gerade als Herr B. sich auf die Bank an der Haltestelle setzte, genau in dem Moment, in dem das Hinsitzen vollendet war, kam ein Bus. Herr B. schloss seinen Schirm, schüttelte ihn und trat an den Bürgersteig. Der Bus hielt und die Türe pfiff beim Öffnen leise wie ein Hummer im kochenden Wasser. Herr B. trat einen Schritt hinein, um Tropfen auf den Kopf zu vermeiden.
»Entschuldigung. Fahren Sie zum Seidelplatz?« Mit Bedacht und pflichtbewusst wählte der Busfahrer seine Worte und antwortete Herrn B.
»Jo.«
»Ah, sehr gut, dann steigen wir mal ein«, kommentierte Herr B. vollkommen überflüssig, nicht so sehr für den Fahrer, sondern eher für sich, und stieg dann ein.
»Na ah ah«, sagte der Busfahrer und schüttelte seinen Zeigefinger in Richtung eines Aufklebers an der Türe, »können Sie nicht lesen?«
»Eigentlich schon, aber …«
»Tiere im Bus verboten«, brummte der Fahrer mit Blick auf den kleinen Matthias der ihn mit ganz großen Augen aus dem Glas anglotzte.
»Das ist doch nur ein Fisch«, gab Herr B. zurück.
»Das is mir egal was das is. Wenn ich bei Ihnen jetzt ne Ausnahme mach, dann kommt mir hier morgen einer mit nem Pony an und dann aber Gute Nacht!« Herr B. ging vorsichtig rückwärts aus dem Bus und landete wieder unter dem Dach der Bushaltestelle.
»Na, was machen wir jetzt nur?«, fragte Herr B.
»Laufen«, sagte Matthias nicht, weil Fische nicht sprechen können. Aber das war die einzige Möglichkeit, die Herrn B. übrig blieb, also entspannte er aufs Neue seinen Schirm und ging los. Ihn solle der Blitz treffen, wenn dieser Tag noch schlimmer werden würde.
In der Ferne donnerte es.
Als er am Seidelplatz ankam, war er von oben, von unten und vor allem von links, da dort die Straße verlief, komplett durchnässt. Aber er hatte es geschafft. Er war fast am Ziel. Wo war noch mal dieser Laden? Das sah aber auch alles gleich aus, vor allem ohne Brille. Herr B. ging von Haus zu Haus, um den Platz herum, auf der Suche nach seinem Optiker. Bald schon heurekate Herr B. Das musste er sein. Auf jeden Fall war dort eine riesige Brille im Fenster, das erkannte sogar er. Bei näherem Betrachten, soweit ihm das möglich war, sah er vor dem Laden noch mehr dieser riesigen Brillen, und nachdem er zuerst an eine kluge Marketingstrategie dachte, musste er feststellen, dass Fahrräder großen Brillen sehr ähnlich waren. Vor allem wenn man sie ohne Brille betrachtete. Frustriert entfernte sich Herr B. vom Fahrradladen mit dem äußert kreativen Namen »Radhaus« und stieß dann plötzlich einen weltbekannten Laut aus. Der Laut, den er ausstieß, war der eines Mannes, der den ganzen Morgen durch den Regen rennt und einen Fisch bekommt, obwohl er nur einen Optiker sucht, den er dann endlich findet. Herr B. ging zur Türe.
Verschlossen.
Der Montag setzte zum K.-o.-Schlag an.
Herr B. kniff die Augen zusammen und las das Schild am Fenster der Türe. Lange dauerte es bis er entziffern konnte, was das Schild ihm sagen wollte:
Optiker Venigfrau
Öffnungszeiten:
Di-Sa 9-15 Uhr
Montag Ruhetag.
Kurzgeschichte: Memories of Earth
Nachdem es letzte Woche etwas eher humorvolles gab, gibt es heute einen Science-Fiction-Versuch (ich nenn's mal Versuch, weil mir Humor besser liegt).
Die Geschichte wurde auch vertont, für die, die lieber hören statt lesen.
Und über Verbesserungsvorschläge freue ich mich natürlich!
Memories of Earth
Die endlose Weite des Ozeans lag ausgebreitet vor Aaliyah. Was wohl hinter der großen Wassermasse lag? Sie grub ihre Zehen tiefer in den nassen Sand. Eine Welle umspülte ihre Beine und trug den Sand wieder zurück ins Wasser. Die Hand vor ihren Augen konnte nicht viel gegen die Sonne ausrichten. Sie legte sich zurück, kleine heiße Sandkörnchen im Rücken, ein kurzer heißer Schmerz, der so schnell verging, wie er gekommen war. Geschlossene Augen halfen besser als Hände. Die Sonne strahlte rot durch ihre Lider. Ganz sicher würde sie später wieder einen Sonnenbrand auf der Nase haben. Aber für einen Tag am Meer nahm sie jeden Sonnenbrand in Kauf. Wie wundervoll das war, das Meer und sein Gesang: das Flüstern der Wellen, das Schreien der Möwen, das Lachen der Kinder. Aus der Ferne stimmte ein Nebelhorn in ihren Gesang ein. Das Meer und Aaliyah. Aaliyah und das Meer. Wie lange war sie jetzt schon hier? Das Nebelhorn wurde lauter.
Aaliyah seufzte. Es ertönte immer wieder. Lauter. Schneller.
»Jaja«, sagte Aaliyah genervt, »Memory beenden.« Das grelle Leuchten der Neonröhren war grauenvoll und dieser harte Sessel hatte auch sehr wenig mit weichem Sand gemein. Ihre Zehen fanden kaum Platz in den unbequemen Arbeitsschuhen.
Das Nebelhorn klagte noch immer.
Aaliyah seufzte erneut, öffnete die Augen, drückte den Wecker ihres Telespektors.
Das Nebelhorn stoppte.
Auch Memorys Summen verstummte. Aaliyah zog ihre Zugangskarte aus dem Schlitz und legte die Stirnkapsel zurück ins Ladegerät. Stand der Sessel auch genau so, bevor sie ins Zimmer kam? Wahrscheinlich würde das niemandem auffallen, wenn es nicht so wär. Sie ging zur Eingangstüre des Apartments und öffnete sie vorsichtig. Niemand da. Schnell schlüpfte sie hinaus in den Gang und schloss die Türe hinter sich. Bunte Buchstaben auf der Türe leuchteten ihr ein Wort entgegen: Pilgrim. Die Türschilder auf der Kivotos-4 waren eine der wenigen Möglichkeiten, sich hier zu individualisieren. Aaliyah schlich den Gang entlang, zurück zur Krankenstation der Kivotos-4. Es musste nicht jeder wissen, wo sie sich herumtrieb. Außerdem hatte sie vom unnatürlichen Hall der Schritte auf dem metallischen Boden schon immer eine Gänsehaut bekommen.
Nicht alle hatten ein Problem mit lautem Gehen. So wie die alte Dame, die ihr auf dem Gang entgegenkam. Aaliyah war sofort klar, wer das war. Nur eine lief so laut. Hundertfünfundzwanzig Jahre und noch immer so fit, dachte sich Aaliyah. Die alte Dame lächelte, als sie Aaliyah sah.
»Ich hab dich schon vermisst, Schätzchen«, sagte sie, »wo warst du denn?«
»Mittagspause«, antwortete Aaliyah, »geht’s Ihnen denn besser?«
»Ach, in meinem Alter ist immer irgendwas«, sagte ihre Patientin, »manchmal wär ich gern wieder so jung und fit wie du.«
Sie hatte ja keine Ahnung wie das war, dachte sich Aaliyah, wenn man sein ganzes Leben hier verbringen musste.
»Ich muss jetzt zurück zur Arbeit«, sagte Aaliyah leise. Die alte Dame zog weiter, zog lauten Schrittes weiter, klonk klonk klonk, und öffnete die Apartmenttüre mit den bunten Lettern. Das Klicken des Türschlosses hallte an Aaliyah vorbei. Die großen Fenster der Kivotos-4 wirkten neben Aaliyah groß und mächtig. Warum musste sie jetzt schon wieder zur Arbeit. Und dann auch noch dieses Wort: Mittagspause. So etwas gab es hier überhaupt nicht. Hier war es immer Nacht, jeden Tag dunkler, jeden Tag weiter weg von der Sonne. Als sie klein war, da konnte man am Horizont noch mit bloßem Auge die Erde erkennen, inzwischen hatte sich die Kivotos-4 aber zu weit von ihr entfernt.
Die Kivotos-4 war eine von acht Raumstationen, oder auch Archen, wie sie von manchen liebevoll genannt wurden, die zwanzigtausend Menschen durch das Weltall trug. Acht Stationen in acht unterschiedliche Richtungen und niemand wusste genau, ob sie jemals auf einem neuen Planeten ankommen würden. Das ursprüngliche Kivotos-Programm sollte achtundvierzig dieser Archen auf den Weg schicken, um eine neue Erde für die Menschen zu finden. Die simultanen Ausbrüche des Tongavo-Vulkans und des Cerro Quacho beendeten die wissenschaftlichen Forschungen. Der vulkanische Winter sorgte für ein rasches Abkühlen der Erdtemperatur und letztendlich für ein Ende des menschlichen Lebens auf dem Planeten. Von knapp neun Milliarden Menschen lebten jetzt noch einhundertsechzigtausend. Schwebten durchs All in acht Kivotos-Raumstationen. Schwebten ohne Ziel.
Es fehlte Aaliyah hier trotzdem an nichts. Zumindest hatte sie das gedacht, bis sie entdeckte, wie man auf Memory anderer Menschen zugreifen konnte. Memory war der äußerst unkreativ gewählte Name für eine Maschine, in der man Erinnerungen speichern konnte. Erinnerungen, die der Besitzer mithilfe von Memory wieder und wieder erleben konnte. Leben konnte.
Memory war kein einfaches Gerät wie ein Fernseher. Memory vermittelte alle Gefühle und Gerüche und Geräusche, die Teil der Erinnerung waren. Aaliyahs Arbeit in der Klinik ermöglichte es ihr, die notwendigen Zugriffsdaten der gewünschten Memory-Besitzer zu kopieren und so darauf zuzugreifen. So konnte sie spüren, was nur wenige Menschen auf der Kivotos-4 jemals gespürt hatten. Was niemand in ihrem Alter jemals gespürt hatte und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch niemals jemand in ihrer und mindestens der nächsten Generation: ein Leben außerhalb einer Raumstation. Ein Leben auf der Erde, dem Ort, von dem alle ihre Vorfahren abstammten. Der Ort, an dem die Menschen entstanden und der für sie immer ein Geheimnis bleiben würde.
Ihre Urheimat.
Frau Pilgrims Strandurlaub in Spanien gehörte zu ihren liebsten Memory-Erfahrungen.
Aaliyah konnte die schlechte Laune ihrer Kollegin schon spüren, bevor sie durch die automatisch-öffnenden Türen der Klinik bog.
»Du bist zehn Minuten zu spät«, entgegnete diese, »ich will auch mal in meine Pause.« Sie stand auf und drückte Aaliyah ein Klemmbrett in die Hand. Aaliyah setzte sich hinter die Anmeldung und legte das Klemmbrett auf den Tisch. Ein Klemmbrett. Waren Klemmbretter wirklich so vollkommen, dass sie in der digitalen Welt nie weiterentwickelt wurden? Aaliyahs Kollegin wandte sich im Gehen noch einmal zu ihr: »Und Frau Petersson will einen Termin. Mal wieder.«
Etwas besseres hätte Aaliyah nicht passieren können. Frau Petersson gehörte zu den Menschen, die ständig dachten, sie wären krank und daher Dauerpatienten in der Klinik waren. Aus diesem Grund kannte sich Aaliyah in Frau Peterssons Erinnerungen schon sehr gut aus und jetzt hatte sie die Gelegenheit, den Urlaub in Italien fortzuführen.
»Frau Petersson«, rief Aaliyah zur Frau, die gegenüber der Anmeldung platzgenommen hatte und so wie es aussah, eingeschlafen war. Aaliyah stand auf, ging zum Platz, auf dem Frau Petersson saß und kniete sich vor sie. Ganz klar eingeschlafen. Sie schnarchte leise. Und sie hatte erstaunlich wenig Falten für jemanden, der die Einhundertsechzig schon überschritten hatte. Zwanzig Jahre könnte sie locker noch machen, dachte sich Aaliyah.
»Frau Petersson«, sagte sie leise und nahm die Hände der alten Dame in ihre. Im Gegensatz zum Gesicht passten ihre Hände besser zu einer Frau in ihrem Alter. Hart und ledrig und mit vielen tiefen Gräben. Nicht mehr die Hände, mit denen sie damals in Italien durch Ricardos Haar gefahren ist, dachte sich Aaliyah. Sie rüttelte Frau Petersson vorsichtig wach.
»Was?«, entgegnete diese schläfrig.
»Frau Petersson, ich bin’s, Aaliyah. Sie wollten einen Termin machen.« Nach kurzer Orientierungslosigkeit wusste sie wieder, wo sie war und warum sie dort war. Aaliyah half ihr vorsichtig auf und begleitete sie zur Anmeldung.
»Wann passt es ihnen denn?«, fragte Aaliyah.
»Oh, mir tut schon wieder alles weh«, sagte Frau Petersson, »am besten so schnell wie möglich.« So schnell wie möglich wieder in Frau Peterssons Memory, das war perfekt.
»Wie wär es denn morgen um 4 s.t.?«, fragte Aaliyah. Frau Petersson dachte nach. Sie rechnete. Viele der Menschen, die auf der Erde aufgewachsen waren, hatten sich noch nicht an das neue Zeitsystem gewöhnt.
»13 Uhr«, half ihr Aaliyah.
»Ja, 13 Uhr ist gut«, sagte Frau Petersson, »und bitte lassen Sie mich nicht mehr so lange warten wie beim letzten Mal, ich bin nicht mehr die Jüngste.«
»Aber natürlich nicht«, entgegnete Aaliyah. Mit einem Lächeln schaute sie Frau Petersson hinterher, die langsam durch die Türe bog und verschwand.
In der Nacht schlief Aaliyah wenig, träumte jedoch trotzdem viel vom Strand und vom Gesang des Meeres. Aber selbst ihre intensivsten Träume fühlten sich nicht so real an wie die Erinnerungen, die sie in Memory erfuhr.
Wo blieb sie denn nur? Sie hatte es doch sonst immer so eilig. Aaliyah schaute auf die Uhr ihres Telespektors. Kurz vor Mittag. Da war es wieder, dieses Wort ohne Bedeutung. Das künstliche Licht in den Gängen der Raumstation unterschied nicht zwischen Tag und Nacht. Es leuchtete ununterbrochen, unnatürlich, immer und immer weiter. Die meisten jungen Menschen auf Kivotos-4 störte das nicht. Sie waren hier geboren und kannten kein anderes Licht. Für Menschen, die das Licht der Sonne gesehen und erlebt hatten, die gespürt hatten, wie es auf ihrer Nase brannte, für die war es unerträglich.
Ein paar Meter entfernt fiel Frau Peterssons Türe ins Schloss. Das wurde auch langsam Zeit. Aaliyah wartete, bis sie sich von ihr entfernte, bis sie Richtung Klinik klick-klackte und machte sich dann auf dem Weg zum Apartment. Ihr Herz klopfte schneller, als sie sich an der Türe zu schaffen machte. Natürlich kam niemand, sonst hätte sie das gehört. Wenn man sich oft in fremde Apartments einschlich, dann entwickelte man ein Gespür für so etwas. Aber trotzdem: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Warum man denn solche Sprichwörter noch benutzte, fragte sich Aaliyah oft. Die meisten Menschen auf der Kivotos-4 wussten nicht einmal, was Porzellan war. Mit einer Kopie der Zugangskarte des Oberarztes hatte sie Zutritt zu den Zimmern aller Patienten. Das war einfacher als Plastikkarten zwischen Tür und Türrahmen umherzuschieben, einfacher als umprogrammierte Serviceroboter. Die konnten meistens doch nicht dicht halten.
Im Zimmer roch es nach nichts. So wie überall auf der Kivotos-4. Dank der Luftreinigungsanlage konnten sich in der Raumstation weder Viren noch Bakterien vermehren, aber leider verflog so auch jeder Duft der Individualität. Aaliyah überlegte: Frau Petersson würde mindestens eine Stunde in der Klinik sein. Mit Wartezeit vielleicht etwas länger. Und meistens wurden ihre Schmerzen wieder stärker, sobald der Arzt ihr mitteilte, dass sie nichts habe. Also neunzig Minuten. Mindestens. Aaliyah stellte den Wecker ihres Telespektors auf 5:20 s.t. Das war zwar etwas länger als ihre Pause, aber ihr würde schon eine Ausrede einfallen. Lange war ihr sowieso niemand böse.
Aaliyahs Schritte führten sie schon fast automatisch durch Frau Peterssons Eingangsbereich, durch das Wohnzimmer, hinein ins Schlafzimmer, zum Tisch auf dem Memory stand. Hinter dem Tisch, hinter dem Fenster, hinter der weiten Dunkelheit, ganz weit hinten, trieb die menschenleere Erde. Aaliyah schaltete Memory an und steckte die Karte mit Frau Peterssons Daten hinein. Memorys Antwort erschien unmittelbar auf dem Display:
Hallo Doreen. Schön, dass du wieder da bist. Wohin darf ich dich heute bringen?
Wo wollte Aaliyah heute gerne hingehen? Es gab so viele Möglichkeiten. Die meisten Erinnerungen kannte sie schon.
Vielleicht 17. Juni 2069, Berlin? Der Gesang der Großstadt. Menschenmassen, die durcheinander sprachen. Polyphoner Gesang. Das Hupen der Autos, das Brummen der Motoren.
Oder 27. Dezember 2073, Undredal? Das Knirschen der Schritte im Schnee, das Knistern der Äste im Kamin. Die weißen Berge Norwegens, bedeckt mit Schnee, der Aaliyah immer an Sand erinnerte, nur ein bisschen kälter.
Aber Aaliyah hatte sich eigentlich schon am Vortag entschieden, wo sie hin wollte. 12. August 2070, Torri del Benaco. Sie wählte die gewünschte Erinnerung in Memorys Menü aus, klemmte die Stirnkapsel an und schloss die Augen. »Memory Start.«
Die nächtliche Restwärme des heißen Tages legte sich zärtlich auf ihre Arme, ein leichter Wind ließ ihren Rock um die Beine tanzen. Die Gerüche von frisch gebrühtem Espresso und trockenem Rotwein stiegen in ihre Nase und vereinigten sich dort. In der Nähe besang eine Grille die aufkommende Nacht in ihrem abendlichen Lied. Aaliyahs Atem vertrieb Kaffee- und Weingeruch. Ihr Herz sprang, als sie sah, dass er neben ihr saß.
»Alles in Ordnung, Doreen?« Ihre Hände waren so jung, so klein auf seinen.
»Jetzt schon«, antwortete sie und drückte seine Hand ein bisschen fester. Neben ihnen präsentierte der Gardasee seinen schönsten Sternenteppich. Sie waren die letzten im Café. Der Zigarettenrauch des Kellners schwebte an ihrem Tisch vorbei, weiter in Richtung des Sees und verlor sich in einem Mückenschwarm unter einer Laterne.
»Am liebsten würde ich für immer hier mit dir sitzen«, sagte Aaliyah.
»Nichts ist für immer, das weißt du doch«, antwortete er.
»Dieser Moment schon«, sagte Aaliyah und beide verfielen wieder in ihr angenehmes Nebeneinanderschweigen. In der Ferne trieb ein einsames Fischerboot. Ob sie wohl schon etwas gefangen hatten?
»Wollen wir morgen zusammen Fisch essen gehen?«, fragte Aaliyah, »der soll wundervoll sein hier.« Er antwortete nicht.
»Magst du nicht?« Sie drückte seine Hand fester, spürte plötzlich nur noch ihre eigene. War er noch da? Es war, als würde er aufhören zu existieren. In einem Moment saß er neben ihr, im nächsten war er verschwunden. So wie auch die Grillen. Und der Kellner. Es roch nach nichts mehr. Kein Espresso, kein Wein, kein Zigarettenrauch.
»Was passiert hier?«, fragte Aaliyah und stand auf. Der Tisch vor ihr war mittlerweile auch in einem Zwischenzustand aus Existenz und Nicht-Existenz. Der Horizont des Sees wurde heller. Für Sonnenaufgang war es doch noch viel zu früh. Aber es war nicht die Sonne, die über den See stieg. Es war Nichts. Das Nichts verschlang den Nachthimmel und die Sterne, ebenso das Fischerboot und den See, sowie die Straße zwischen dem Café und Aaliyah.
»Memory beenden«, sagte Aaliyah. Nichts passierte. Sie wiederholte den Befehl. Hinter ihr war inzwischen auch das Café verschwunden und die ganze Welt um sie herum wurde langsam in ein tiefes, ruhiges Nichts getaucht. Dann verschwand auch Aaliyah.
Der digitale Nachrichtenanzeiger der Kivotos-4 präsentierte wenige Minuten später folgendes auf den Displays:
Wir trauern um Frau Doreen Petersson. Frau Petersson war mit einhundertsechzig Jahren eine der letzten Pionierinnen der Kivotos-4. Sie verstarb am neunten Tag des siebten Zyklus um 4:39 s.t.
Vielen Dank! Bald vielleicht mal wieder
Danke!
Kurzgeschichte: Der fantastisch-verworrene Vormittag des strukturierten Herrn Schnuse
Ich dachte, dass ich zur Abwechslung mal eine kleine Kurgeschichte poste. Falls das nicht gewünscht ist, kann's auch wieder entfernt werden.
Der fantastisch-verworrene Vormittag des strukturierten Herrn Schnuse
Sacht, ganz sacht, wie das Wiegen eines kleinen Bootes bei leichtem Seegang, schwankten die Bananen an Kasse 2 bei jedem Stoppen des Kassenbands. Kürzere Bandimpulse ließen die Wellen höherschlagen und bald schon stand das Wasser erst knöcheltief, dann knietief in den Bananen. Nicht mehr viel fehlte, um das Boot endgültig zum Kentern zu bringen. Siegmar Schnuse, der ebenfalls an der Zwei stand und seine Einkäufe auf das Band lud, beobachtete die Odyssee und ihn ergriff beim Anblick des Bananenbootes die Seekrankheit. Fester, immer fester krallte er sich an seinen sicheren Gitterhafen, um nicht über Bord zu gehen. Wie schlimm das sein müsste, dachte er sich, schiffbrüchig von Haien gefressen zu werden oder – noch schlimmer – auf einer einsamen Insel zu stranden, auf der es nichts außer Bananen gab.
Herr Schnuse kaufte nur Dinge, die sich nahtlos aufs Kassenband legen ließen. Eine Packung gefrorene Windbeutel, Spaghetti, vielleicht eine Gurke, wenn sie ausnahmslos gerade war und zwischen den eckigen Kartons Platz fand. Aber Bananen, die hatten im geordneten Leben Schnuses nichts zu suchen. Herr Schnuse setzte das Beladen des Bandes fort, als die Dame vor ihm die Bananen verstaut hatte. Als würde er ein Containerschiff beladen, hob er mit seinen kranigen Händen das Salz aus dem Wagen und platzierte die Packung auf dem Band. Daneben zwei Packungen Butter, da sich die kurzen Seiten übergangslos an die lange Seite der Salzpackung fügten. Die Kasse begann aufs Neue ihre piepsende Symphonie. Herr Schnuse packte die Einkäufe rhythmisch in seine Tasche, bezahlte passend in Bar, faltete den Beleg ins hintere Fach seines Portemonnaies und machte sich auf den Heimweg.
In die entgegengesetzte Richtung flog zu genau dieser Zeit eine Fliege, deren Leben ein jähes Ende in Herrn Schnuses Auge fand. Es war ihm nicht klar, ob dies ein Unfall war, vielleicht eine kurze Unaufmerksamkeit im Flug, die zustande kam durch ein Hantieren am Kassettendeck, oder ob es eine suizidale Aktion der Fliege war, die möglicherweise zuerst ihren Job, dann ihre Familie und letztendlich den Lebenswillen verloren hatte, nur um sich jetzt im dunklen Blau von Herrn Schnuses Auge zu ertränken. Jedenfalls war er verärgert, dass sein sonst problemloser Supermarkt-Wohnhaus-Weg von einer Fliege im Auge so durcheinandergerüttelt wurde. Herr Schnuse blinzelte, rieb, tränte und hatte pünktlich zum Ankommen am Haus die letzten Fliegenteile geborgen.
Aus seinem Briefkasten starrte ihm trotz des Bitte-keine-Werbung-Zettels ein roter Pizzawerbezettel neugierig entgegen.
»Wenn du dienstags zwei bestellst, dann musst du nur eine bezahlen«, piepste ihm der Zettel entgegen, »und außerdem liefern wir jetzt auch schon ab zwölf Euro Bestellwert und …« Herr Schnuse beendete den Werbevortrag mit dem Zerknüllen des Zettels und brachte ihn zum Mülltonnenabstellplatz. Dort war er erleichtert, dass nicht wieder jemand seine Ordnung durcheinandergebracht hatte (rechts vorne die Papiertonnen, dahinter die Gelben, links Restmüll, vorne erster Stock, dann der zweite und so weiter, ganz hinten der Biomüll). Seine Zufriedenheit hielt nicht lange, da Herr Schnuse beim Entsorgen des Pizzawerbezettels in der Papiertonne etwas fand, das dort nichts zu suchen hatte. Eingeklemmt zwischen einem Pizzakarton und einer zerdrückten Packung Spülmaschinensalz hing eine Bananenschale und Herr Schnuse wunderte sich, wie diese dort gelandet war. Pure Bosheit oder grobe Dummheit kamen ihm in den Sinn, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand hier aus dem Haus in der Lage war, einen so groben Verstoß zu vergehen. Die einzig logische Täterin, die ihm einfiel, war die alte Seidel aus dem vierten Stock. Die hatte er am vergangenen Abend mit Krücken gesehen und konnte sich jetzt dank des Corpus Delicti zusammenreimen, was ihr zugestoßen sein musste. Ohne etwas Böses zu denken, hatte sie das Haus verlassen, übersah – wahrscheinlich aufgrund des hohen Alters oder einer Ablenkung – die Bananenschale am Boden, rutschte und fiel. Mit letzter Kraft entsorgte sie die Bananenschale, hatte diese jedoch aufgrund ihres durch den Fall widerfahrenen Schädel-Hirn-Traumas in die falsche Tonne geworfen. Nachdem Herr Schnuse den Fall aufgeklärt hatte, sorgte er mit dem korrekten Entsorgen der Bananenschale für Ordnung.
Er nahm seine Einkäufe, stieg die Stufen in den ersten Stock, richtete die Fußmatte der Heinkens wieder parallel aus, stieg die Stufen in den zweiten Stock und betrat seine Wohnung. Aus der Kommode gleich rechts im Gang griff er sich Desinfektionstücher, rieb seine Hände, dann akribisch die eingekauften Boxen, dann nochmal die Hände und entsorgte die Tücher im Müll neben der Kommode. Bakterien- und virenbefreit trug Herr Schnuse sein Einkaufsgut zur Speisekammer, wo beim Umlegen des Lichtschalters die Glühbirne durchbrannte. Herr Schnuse seufzte. Er ging zurück zur Wohnungseingangskommode, unteres Fach, dort von links nach rechts: kleine Glühbirnen für Backofen und Kühlschrank, größere für das Licht im Bad über dem Spiegel, große für die Lampen an der Decke. Von Letzteren jetzt eine weniger. Herr Schnuse seufzte ein zweites Mal, nahm einen Stuhl aus der Küche und ging zurück zur Speisekammer. Den Stuhl platzierte Herr Schnuse unter der Deckenlampe, seufzte ein letztes Mal und erklomm den Stuhl. Die meisten Unfälle – oft mit Todesfolge – passieren im Haushalt, dachte sich Herr Schnuse beim Austauschen der Glühbirne und starb nicht. Er stieg vorsichtig vom Stuhl, trug ihn zurück in die Küche und wurde plötzlich übermannt von einer tiefen Erschöpfung, was aufgrund der vielen Vorkommnisse der letzten Stunde durchaus nachvollziehbar war.
Herr Schnuse hatte in seinem halblangen Leben gelernt, dass in solchen Momenten ein kurzer Spätvormittagsschlaf helfen konnte und beschloss, diese Möglichkeit zu nutzen. Im Schlafzimmer hängte er Jackett, Hemd und Hose in den Schrank, legte sich bettmittig und schloss die Augen.
Langsam schlummerte Herr Schnuse in einen grünen Traum. Vor ihm stiegen haushohe Farne aus dem Boden, wohlgeordnet wie Straßenlaternen. Sie waren überall in der prähistorischen Sumpflandschaft. Herr Schnuse watete weiter voran (wie war er nochmal hierhergekommen?), seine Hosenbeine saugten durstig das Sumpfwasser bis zur Kniekehle (hatte er sich nicht ausgezogen?) und aus dem vielgliedrigen Farn neben ihm starrte ihn ein dicker, blauer Vogel mit langer Schnauze an (hatten die nicht normalerweise Schnäbel?). Der urzeitliche Schrei eines Rasenschneiders verjagte den Vogel und riss Herrn Schnuse wieder aus dem Traum. Es roch grasig. Herr Schnuse ging erzürnt ans Fenster und entdeckte im Garten gegenüber das Rasenschneidermännchen, das aufs Neue einen Schrei ausstieß. In der Ferne antwortete ein Weibchen. Bei diesem Lärm konnte man nicht schlafen, dachte sich Herr Schnuse, schloss das Fenster und beschloss, die Fußabtreter der Nachbarn auf Parallelität zu prüfen.
Säuberlich schlüpfte er zurück in seinen Anzug und verließ die Wohnung. Im dritten Stock bei den Möllers war alles in Ordnung. Zufrieden stieg Herr Schnuse weiter zur bananenverletzten Seidel in den vierten Stock. Auch hier gab es kein Problem mit dem Fußabtreter, jedoch hatte sie ihre Schuhe vor der Wohnungstüre abgestellt, was Herr Schnuse als großes Sicherheitsrisiko sah. und er dachte sich, dass doch ausgerechnet die Seidel, die erst kürzlich sehr wahrscheinlich über eine Banane gefallen war, von solchen Gefahren wissen müsste. Herr Schnuse machte sich eine innerliche Notiz, später eine äußerliche Notiz an der Tür der alten Seidel anzubringen und ging wieder hinunter.
Zurück im zweiten Stock begrüßte ihn ein Mensch, der seinem weiten Lachen nach zu urteilen entweder einen guten Tag hatte oder zeigen wollte, dass Zähnebleichen funktionierte.
»Herr Schnuse«, sagte der eher junge Mann und streckte seine Hand in Schnuses Richtung, »Mandelkorn mein Name, ich bin hier, um mit Ihnen über PyonPlus3 zu sprechen. Darf ich reinkommen?«
»Über wen?«
»PyonPlus3 ist unser brandneues Smart-Internet-Home-System. In Sekundenschnelle sind Sie weltweit vernetzt und gerne machen wir auch ihre ganze Wohnung smart.«
»Was wollen Sie machen?«
»Herr Schnuse, ich bin hier, um ihr Leben einfacher zu machen. Wenn Sie mich kurz reinlassen, dann erkläre ich Ihnen alles.«
Gerade an Tagen wie heute wäre ein einfacheres Leben gut, dachte sich Herr Schnuse. Er öffnete die Wohnungstür, ging hinein mit dem gutfrisierten, stark gegelten Mandelkorn und desinfizierte seine Hände. Herr Mandelkorn lehnte das Desinfektionstuch freundlich ab und Herr Schnuse empfand weniger Verlangen nach einem PyonPlus3.
Er leitete den Mandelkorn ins Wohnzimmer, setzte ihn aufs Sofa und sich auf den Sessel gegenüber. Der parfümierte Mandelkorn öffnete seinen Aktenkoffer und verteilte allerlei Unterlagen mit bunten Tabellen auf dem Wohnzimmertisch zwischen den beiden.
»Herr Schnuse, wahrscheinlich haben Sie schon von uns gehört …«
»Nein.«
»Gut, dann erkläre ich Ihnen, wer wir sind. Wir haben es zu unserer Aufgabe gemacht, das Leben der Menschen einfacher zu machen und das schon ab 49,99 Euro monatlich. Wir von PyonPlus3 haben eine neue Technologie entwickelt, die schon nach wenigen Tagen ihre Arbeitsmuster analysiert und …«
Herr Schnuse langweilte sich. Außerdem lenkte ihn ein kleiner schwarzer Punkt zwischen Mandelkorns Zähnen ab. Was war das denn? War das vorhin schon da? Mohn? Dieser Mandelkorn wirkte eher wie eine Chia-Person. Herr Schnuse lehnte sich weiter nach vorn und versuchte einen besseren Blick auf Mandelkorns Zahnzwischenraumkorn zu bekommen. Dieser sprach schnell und viel und es war nicht einfach, das schwarze Etwas zu analysieren.
Schnuse beugte sich über den Tisch und befand sich jetzt direkt vor Mandelkorns Mundhöhle. Wo war der schwarze Punkt abgeblieben? Hatte er sich das nur eingebildet? Herr Schnuse rief in die Höhle, aber es hallte nur sein eigenes Echo zu ihm zurück. Behutsam stieg Herr Schnuse in die mandelkornsche Höhle und beleuchtete die dunklen Ecken. Es roch minzig. Schnuse lief vorsichtig entlang der weißen Wand und suchte seinen schwarzen Schatz. Und da war er: rechts oben zwischen dem ersten und dem zweiten Molaren. Herr Schnuse stellte seine Lampe auf den Grund und stieg vorsichtig auf die untere Zahnreihe, um nach dem schwarzen Unbekannten zu greifen. Dieses steckte fester, als es aussah und Herr Schnuse hing schon bald mit seinem gesamten Körpergewicht daran. Erst langsam, dann immer schneller löste es sich aus dem Zahnzwischenraum, und Herr Schnuse fiel – zum Glück weich und feucht – auf den zungigen Untergrund der Höhle. Beim Fall jedoch verlor Herr Schnuse das schwarze Etwas, das durch einen Luftzug tiefer in die Höhle gesogen wurde und dort verschwand.
»Herr Schnuse?«
»Hm?«
Der Mandelkorn hatte Herrn Schnuse aus der Höhle zurück an den Verhandlungstisch geholt.
»Wenn Sie noch heute unterschreiben, dann richten wir Ihr exklusives PyonPlus3 schon in spätestens sechzig Werktagen ein. Zusätzlich erhalten Sie ein brandneues Smartphone, mit dem Sie schon von unterwegs ihr Zuhause steuern können.«
Vielleicht war Herr Mandelkorn kein guter Verkäufer oder Herr Schnuse im Allgemeinen nicht sehr interessiert an smarten Homes, denn schon bald drifteten seine Gedanken wieder hinfort.
»Außerdem sind wir vierundzwanzig Stunden täglich für Sie erreichbar, wenn sie Probleme mit PyonPlus3 haben sollten.«
Herr Schnuse griff in die Innentasche seines Jacketts, zog eine Banane hervor und erschoss den Mandelkorn. Die Kugel drang durch Mandelkorns Höhle ein und verließ ihn durch den Hinterkopf. Mandelkorns Blut färbte die Wohnzimmerwand in ein dunkles Rot und auch aus dem Teppich würde Herr Schnuse diese Flecken nie wieder entfernen können. Panik überkam ihn. Was hatte er getan? Er eilte zur Kommode, holte Desinfektionstücher, wischte seine Fingerabdrücke von der Banane. Mandelkorns Blut hatte zwischenzeitig seine Füße erreicht, er stand halbgroßzehtief in Mandelkorn. Und wohin eigentlich mit der Leiche? Herr Schnuse hatte noch nie einen Krimi gelesen und einen Fernseher hatte er auch nicht. Vielleicht in den Biomüll? Aber dafür war der Mandelkorn zu groß. Kleinschneiden und in der Toilette wegspülen? Mandelkorns Blut stand mittlerweile kniehoch und stieg immer schneller. Weiter hinten im Gang trieb das schwarze Etwas. Herr Schnuse nahm Mandelkorns Stift, der auf dem Tisch lag und schrieb seine Abschiedsnotiz: »Frau Seidel, bitte keine Schuhe vor der Wohnungstüre lagern!« Dann nahm er die Banane und erschoss sich selbst.
»Sie müssen nur noch hier unterschreiben«, sagte der Mandelkorn. Herr Schnuse überlegte nicht lange. In schon spätestens sechzig Werktagen würde er sich keine Gedanken mehr über falsch entsorgte Bananen, Haushaltsunfälle und Gespräche mit langweiligen Vertretern machen müssen. Dann würde PyonPlus3 für Ordnung sorgen.
I got my first humorous short story published
I hope it's okay to share this here. I originally wrote the story in German but unfortunately it's nearly impossible to get humorous stories published in German literary magazines, so I translated it into English and sent it to various magazines.
For those interested, below is the link. I would appreciate comments on what to improve.
The story is set in the 1920s in rural Germany, so you might find some old German names.
https://www.almamagazines.com/fiction-and-poetry/the-clocks-ticking-karl/
Im Sommerinterview räumt CDU-Chef Merz angesichts der anhaltend guten Umfragewerte für die AfD aktuelle Schwächen in seiner eigenen Partei ein. Er bekräftigt aber gleichzeitig: Ein Verbot der Partei hält er nicht für zielführend, und die Union wird nicht mit der AfD kooperieren - mit Ausnahmen.

Hab auch alles gelöscht und gemerkt wie viel sich da nach sieben Jahren angesammelt hat. Mal schauen, ob ich meine Zeit jetzt sinnvoller nutze oder ständig hier rumhäng